Es war wie ein Schock. Als ich von der Geschichte las, vor drei Jahren, wollte ich es nicht glauben. Die (deutsche) Welt der Musikwissenschaftler hielt sie für nicht wahrscheinlich, stufte sie als üble Verleumdung ein. Die Geschichte ist die des Hans Heinrich Eggebrecht, einer der bedeutendsten deutschen Musikwissenschaftlers der Nachkriegszeit. Eggebrecht war Mitglied der berüchtigten Feldgendarmerieabteilung 683 1941. Diese Einheit der deutschen Wehrmacht trägt die Verantwortung im Dezember 1941. für die Massenexekution von 14 000 Juden bei der Stadt Sinferopol auf der russischen Halbinsel Krim. im Dezember 1941. Diese Einheit gehörte wie der Historiker Ulrich Herbert feststellte, „zu den schrecklichsten Mörderbanden der Geschichte“. Eggebrecht gehörte zu ihr.

Diese Erkenntnisse hat der Musikhistoriker Boris von Haken in seinem Buch „Holocaust und Musikwissenschaft“ zusammengefasst.

Wer ist H.H. Eggebrecht?

Hans Heinrich Eggebrecht war einer der bedeutendsten Musikwissenschaftler Deutschlands. Sein Hauptwerk „Musik im Abendland“ habe ich immer wieder in die Hand genommen, gleichsam als verlässlicher Ratgeber zum Verständnis klassischer Musik. Er schrieb unzählige Musikkritiken in den großen deutschen Tageszeitungen. Auch zum vertieften Verständnis von Wagners Musikrevolution dienten mir seine Bücher. Spuren davon sind in meinem Bayreuth-Roman „Kundry weint“ zu finden.

Wir wissen wohl, dass die Begeisterung für klassische Musik, für Mozart, Beethoven und auch Wagner unmenschliches Denken nicht verhindern kann. Der aggressiven Antisemitismus Richard Wagners ist dafür ein Beispiel. Die Nazis haben ihn brutal für ihre rassische Ideologie ausgebeutet und kein geringer Teil des deutschen Bildungsbürgertum ist sind ihnen begeistert gefolgt. Millionen hat sie das Leben gekostet. Aber die Vorstellung, dass ein junger, deutscher, sensibler Musikwissenschaftler in einem Spalier von Soldaten stand, durch den in jenen Dezembertagen des Jahres 1941 innerhalb weniger Tage 14 000 Menschen zur Erschießung getrieben wurden, darunter Kinder wie Greise, Männer wie Frauen, dagegen widersetzt sich der „gesunde Menschenverstand“. Das kann nicht wahr sein. Das darf nicht wahr sein. Nahezu alle deutschen Musikwissenschaftler, die auf den Fall Eggebrecht reagierten, bezweifeln die Seriosität der Enthüllung.

Im Frühjahr 2010 sind von zwei Hamburger Musikwissenschaftler, Claudia Maurer Zenck und Friedrich Geiger, erhebliche Zweifel an Glaubwürdigkeit der von Hakens Feststellungen angemeldet worden. Christopher R. Browning, Holocaustforscher und Autor des Buches Ganz normale Mörder, Das Reserve-Polizeibataillon 101 und die „Endlösung“ in Polen, hat die Argumente der beiden Hamburger Forscher unter die Lupe genommen. Er kommt zu dem Schluss, dass ihre Arbeit den kritischen Fragen ausweicht und rein apologetischen Charter hat. Zu lesen war das 2012 in der amerikanischen German Studies Review, der weltweit auflagenstärksten wissenschaftlichen Zeitschrift für Forschungen zu Geschichte, Kultur und Politik im deutschsprachigen Raum

Gört Aly, der angesehene deutsche Holocaustforscher bestätigt diese Urteil: Eggebrecht muss tatsächlich an Massenerschießungen teilgenommen haben. Unglaublich aber wahr!

Das, was genau geschehen ist beschreibt Boris von Haken in einem Artikel für DIE ZEIT vom 17.12.2009 unter dem Titel „Spalier am Mördergraben“.

Nach wie vor beschäftigt mich diese Geschichte. Wie ist es möglich, das ein gebildeter Mann, ein Musiker, dessen Sensibilität Liebesglück und Todeschmerz in der Musik Mozarts und Beethovens zum Beispiel nachempfinden kann, so vermuten wir jedenfalls, an der Erschießung unschuldige Kinder, Frauen, Männer teilnimmt! Wie hält eine solche Seele das aus? Wie sein Gewissen? Niemand wird es sagen können. Die Fähigkeit der Sprache ein solches Ereignis zu erklären, ist hier an ihre Grenze gekommen. Zurück bleibt ein Gefühl des Grauens, tief im Herzen.

http://www.zeit.de/2010/03/Eggebrecht

http://www.signandsight.com/features/1977.html

http://www.academia.edu/858501/The_Case_of_Hans_Heinrich_Eggebrecht_The_Moral_Dilemma

http://www.artsjournal.com/slippeddisc/2011/06/the-mass-murderer-who-loved-mahler.html

https://groups.google.com/forum/#!topic/rec.music.classical.recordings/ltleXWBJUr0