LiebeWeh

Als ich zum ersten Mal den Titel von Eva Llouz Buch "Warum Liebe weh tut" sah, habe ich gleich an meinen Blogeintrag "Die Entdeckung der Liebe" gedacht. Im Zentrum meines Eintrags steht die These, die von vielen Mittelalterforschern vertreten wird, dass die kulturellen Voraussetzungen einer individuellen intimen Liebesbeziehungen zwischen Mann und Frau zum ersten Mal im 12. Jahrhunderts gelebt werden konten. Der Roman von Tristan und Isolde, der um das Jahr 1180 erschien, gilt als der literarische Beleg für diese These.

Es ist der Roman einer unglücklichen Liebe, die immer noch, über die Jahrhunderte hinweg, unsere Herzen berührt. Dieses Epos erzählt jedoch nicht nur die Geschichte einer unglücklichen Liebe, sondern auch die eines Ehebruchs, Ursache von großem Schmerz und Leid und Tod. Die glückliche Liebe hat in der abendländischen Literatur keine Geschichte. Das ist der große Fund der Dichter Europas, das, was sie vor allem in der Weltliteratur auszeichnet, wovon sie besessen sind, nämlich von der Auffassung, Erkenntnis zu gewinnen durch den Schmerz hindurch.

Und heute? "Könnte die Soziologin die Stimmen der Menschen hören, die nach Liebe suchen, dann vernähme sie eine lange und laute Litanei des Jammerns und des Stöhnens", schreibt Eva Illouz in der Einleitung ihres Buches: Warum tut Liebe immer noch weh, zumindest sehr sehr oft ? Was fasziniert uns noch heute an Figuren wie Emma Bovary, Anna Karenina, Effi Briest, den unglücklich Liebenden in den großen Romane des 19.J ahrhunderts, die alle in der Tradition des Tristan-Romans stehen? Und vor allem: Was unterscheidet uns von ihnen? Gibt es einen Unterschied zwischen dem Liebeskummer zu Zeiten jener Frauen und der Art und Weise, wie wir heute Liebesleid erfahren und damit umgehen? »Ja«, sagt Eva Illouz, die Meisterin der soziologischen Analyse der Gefühlswelt moderner Menschen. In ihrem neuen Buch widmet sie sich den Schattenseite der Liebe.

Spannend daran ist die Tatsache, dass sie Liebeslust und Liebesleid nicht als ein rein individuelles Problem sieht wie in unzähligenden psychologisch therapeutischen Ratgebern immer wieder behauptet wird. Sie zeigt in überzeugender Weise, inwiefern der Liebesschmerz wesentlich von den gesellschaftlichen Bedingungen der jeweiligen Zeit geprägt wird. Das Leiden an der Liebe ist (auch) ein soziologisches Phänomen. Illouz fragt nach den gesellschaftliche Bedingungen des Gelingens und vor allem des Scheiterns von Liebe.Eine Illusion, der die Autorin im Buch zu Leibe rückt, ist z.B. die Vorstellung, dass die Liebe zwischen zwei Menschen ein romantisches Refugium ist, eine Konstante, auf die die Aussenwelt keinen Einfluss hat. Frau Illouz These ist statt dessen, dass die Liebe, wie alle anderen Dinge auch, dem gesellschaftlichen Wandel unterliegt und von Kultur, technischem Fortschritt und dem Wirtschaftssystem beeinflusst wird. Unser System ist ja auf Märkten aufgebaut, also dem Zusammenkommen von Angebot und Nachfrage. Und das gilt in immer stärkeren Maße auch für zwischenmenschliche Beziehungen. Zehn Millionen Singles leben in Deutschland. Fast zwei Drittel von Ihnen suchen ihr Glück mittlerweile auch im Internet. Die Autorin erläutert zu Beginn genau, wie sich der soziologische Blick auf die Liebe vom psychologischen Blick unterscheidet und betrachtet die Liebe in ihrer jeweiligen Ausprägung unter gesellschaftlichen Aspekten. Für mich war es überraschend, mit welcher Energie sie sich gegen die westliche Kultur der unzähligen Therapien wendet, die alle versprechen, aus dem an der Liebe leidenden "Patienten" wieder einen (liebes-)glücklichen Menschen machen zu können.

Das ganze Heer der Psychologen, Psychoanalytiker und Therapeuten aller Schattierungen, so Illouz, ist in der Freudschen Denk- und Begriffswelt gefangen. Diese Freudsche Denk- und Begriffswelt führt das Gelingen und Scheitern von Liebesbeziehungen auf frühkindliche Verlusterfahrungen zurück. Sie bestreitet jedoch die Freudsche These, dass das Muster unseres erotischen Lebensweges, unserer Liebesfähigkeit, sich sehr schon früh im Verhältnis zwischen Kind und Eltern entwckelt. "Die Freudsche Kultur legt nahe, dass das Liebeselend im großen und ganzen allein unvermeidlich und selbstverschuldet ist." Wenn du in der Liebe scheiterst, selbst schuld. Das ist die Botschaft. Diese Botschaft hält Eva Illouz für fatal. Überzeugend weist sie nach, dass es etwas qualitativ Neues in der Erfahrung zeitgenössische Liebesleiden und des heutigen Umgangs mit Beziehungskrisen gibt. Was ist das spezifisch Neue an diesen Erfahrungen das gegenwärtige Elend der Liebe zu verstehen? Eva lIlouz versucht eine Antwort in fünf Kapitel zu geben. Spezifisch modern am Liebesleid seien die "Deregulierung von Heiratsmärkten" (Kapitel 1), "die Transformation der Architektur der Partnerwahl" (Kapitel 2), "die Rationalisierung der Leidenschaften" (Kapitel 4), so wie der Zusammenhang zwischen heutiger Produktion romantischer Phantasie und ihren Enttäuschungen (Kapitel 5). Eva Illouz, die 50-jährige Wissenschaftlerin ist Professorin für Soziologie, stammt ursprünglich aus Marokko, lebt seit zehn Jahren mit ihrer Familie in Jerusalem Sie gibt europaweit Vorträge und Seminare, hat ursprünglich in Frankreich, den USA und Deutschland gelebt. Eva Illouz gehört zu den bekanntesten Soziologen unserer heutigen Zeit, sogar, wie das Magazin Time schreibt, zu den "zwölf Intellektuellen, die das Denken der Zukunft entscheidend verändern".